Missbräuchliche Kündigung von Arbeitsverträgen

Kündigungen sind missbräuchlich, wenn sie gegen einen im Gesetz definierten Katalog von Gründen verstossen oder in schwerer Weise Treu und Glauben verletzen.

Inhalt

    Wer kann missbräuchlich kündigen?

    Kündigungen sowohl von Arbeitnehmenden als auch von Arbeitgebenden können missbräuchlich sein, wenn einer der Tatbestände von Art. 336 Abs. 1 OR erfüllt ist. In der Praxis berufen sich die Arbeitnehmenden und kaum je die Arbeitgebenden auf die Missbräuchlichkeit einer Kündigung.

    Kündigungen nur des Arbeitgebenden können missbräuchlich sein, wenn einer der Tatbestände von Art. 336 Abs. 2 OR erfüllt ist.


    Wann ist eine Kündigung missbräuchlich?

    Persönliche Eigenschaft

    Eine Kündigung wegen einer Eigenschaft, die der anderen Partei kraft ihrer Persönlichkeit zusteht kann missbräuchlich sein, sofern diese Eigenschaft nicht im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis steht oder die Zusammenarbeit im Betrieb wesentlich beeinträchtigt.

    Eigenschaften, die einer Partei kraft ihrer Persönlichkeit zustehen können sein Geschlecht, Familienstand, Schwangerschaft, Krankheiten, Behinderung, sexuelle Orientierung, Nationalität, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Vorstrafen usw.

    Besteht zwischen einer solchen Eigenschaft ein Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis, ist die Kündigung nicht missbräuchlich. Wann ein genügender Zusammenhang besteht, ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Ein solcher Zusammenhang kann bspw. bestehen, wenn eine Krankheit die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt. In diesem Fall ist eine Kündigung nach Ablauf der Sperrfrist nicht missbräuchlich. Kündigungen wegen des Geschlechts oder des Zivilstands sind nach dem Gleichstellungsgesetz zu beurteilen.

    Beeinträchtigt die Eigenschaft die Zusammenarbeit im Betrieb (Betriebsklima), ist die Kündigung nicht missbräuchlich. Wann das der Fall ist, ist anhand des konkreten Falls zu beurteilen. Arbeitgebende haben aufgrund ihrer Fürsorgepflicht einzuschreiten, um die Persönlichkeit der übrigen Arbeitnehmenden zu schützen.

    Ausübung verfassungsmässiger Rechte

    Eine Kündigung, weil die andere Partei ein verfassungsmässiges Recht ausübt, kann missbräuchlich sein, sofern die Rechtsausübung keine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verletzt oder die Zusammenarbeit im Betrieb nicht wesentlich beeinträchtigt.

    Als Verfassungsmässige Rechte kommen im Wesentlichen die Grundrechte aus der Bundesverfassung, den Kantonsverfassungen oder der EMRK in Frage, bspw. die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Meinungs- und Informationsfreiheit sowie die Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit.

    Die Ausübung solcher Rechte kann ihre Grenze in der Treuepflicht finden. Kritik am Arbeitgeber kann zwar unter der Meinungsäusserungsfreiheit zulässig sein, jedoch gegen die Treuepflicht verstossen.

    Wird mit der Rechtsausübung eine vertragliche Pflicht verletzt oder die Zusammenarbeit im Betrieb beeinträchtigt, kann dies zur Folge haben, dass die Kündigung nicht missbräuchlich ist. Massgebend sind die konkreten Umstände im Einzelfall.

    Vereitelung des Entstehens von Ansprüchen

    Eine Kündigung, welche ausschliesslich zur Vereitelung der Entstehung von Ansprüchen der anderen Partei aus dem Arbeitsverhältnis ausgesprochen wird, ist missbräuchlich.

    Es geht im Wesentlichen um die Vereitelung von besonderen Ansprüchen, die mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen (bspw. Gratifikation, Bonus, Lohnfortzahlung bei einer bevorstehenden Operation etc.).

    Missbräuchlich sind nur Kündigungen die „ausschliesslich“ die Vereitelung von Ansprüchen bezwecken. Die Anforderungen sind damit sehr hoch. Zeitliche Nähe und das Fehlen anderer triftiger Kündigungsgründe können jedoch für die Missbräuchlichkeit sprechen.

    Geltendmachung von Ansprüchen (Rachekündigung)

    Erfolgt die Kündigung, weil die andere Partei nach Treu und Glauben Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis geltend macht, kann sie missbräuchlich sein.

    Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis sind bspw. die Geltendmachung von Lohnansprüchen, das Bestehen auf Gesundheitsschutz oder generell Erfüllung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis.

    Der Anspruchsberechtigte muss dabei nach Treu und Glauben vorgehen. Erforderlich ist deshalb nicht, dass der geltend gemachte Anspruch tatsächlich besteht, es genügt, dass die betreffende Person gute Gründe für die Geltendmachung des Anspruchs hatte.

    Schwierige Abgrenzungsfragen können sich ergeben, wenn der Arbeitnehmende eine Verletzung der Treuepflicht durch den Arbeitgebenden geltend macht und ihm darauf hin gekündigt wird. Wann und ob und wie Missstände im Betrieb externen Stellen mitgeteilt werden können, bringt ebenfalls schwierige Abgrenzungsfragen mit sich.

    Die Geltendmachung von Ansprüchen muss für den Entscheid zur Kündigung kausal sein. Bestehen neben der Geltendmachung von Ansprüchen weitere Kündigungsgründe, muss die Geltendmachung von Ansprüchen der Hauptgrund für die Kündigung gewesen sein. Ist das nicht der Fall, ist die Kündigung nicht missbräuchlich.

    Ist gleichzeitig ein Tatbestand gemäss Gleichstellungsgesetz erfüllt, gehen die Regelungen des Gleichstellungsgesetzes vor.

    Obligatorischer Dienst

    Eine Kündigung kann missbräuchlich sein, wenn sie ausgesprochen wird, weil die andere Partei schweizerischen obligatorischen Militär- oder Schutzdienst oder schweizerischen Zivildienst leistet oder eine nicht freiwillig übernommene gesetzliche Pflicht erfüllt.

    In Frage kommen nur Diensteinsätze, die nicht freiwillig übernommen wurden. Dazu gehören auch Beförderungsdienste und die Dienstzeit von Durchdienern. Aufgrund der bilateralen Verträge mit der EU können sich EU-Staatsangehörige für in ihrer Heimat zu leistenden unfreiwilligen Dienst ebenfalls berufen.

    Was unter nicht freiwillig übernommene gesetzliche Pflichten fällt, wird in der Praxis konkretisiert (Beantworten von Fragen in einer polizeilichen Befragung, Zeugenaussagen etc.).

    Gewerkschaftszugehörigkeit

    Eine Kündigung durch den Arbeitgebenden ist missbräuchlich, wenn sie ausgesprochen wird, weil der Arbeitnehmende einem Arbeitnehmerverband angehört oder nicht angehört oder eine gewerkschaftliche Tätigkeit rechtmässig ausübt.

    Die rechtmässige Ausübung einer gewerkschaftlichen Tätigkeit umfasst bspw. das Anwerben von neuen Mitgliedern, die Teilnahme an Generalversammlungen und das Streikrecht. Sind die Voraussetzungen für den Streik nicht gegeben, ist der Streik unzulässig und eine Kündigung wegen Teilnahme nicht missbräuchlich.

    Arbeitnehmervertreter

    Während ein Arbeitnehmender gewählter Arbeitnehmervertreter in einer betrieblichen oder in einer dem Unternehmen angeschlossenen Einrichtung ist, ist eine Kündigung des Arbeitgebers missbräuchlich. Der Schutz des Arbeitnehmervertreters dauert bei einem Betriebsübergang so lange weiter, als das Mandat gedauert hätte, wenn das Arbeitsverhältnis nicht übergegangen wäre.

    Erfolgt die Kündigung aus objektiven Gründen (bspw. schlechter Geschäftsgang, schlechte Leistung etc.), ist sie nicht missbräuchlich. Diesen Umstand hat der Arbeitgebende zu beweisen.

    Massenentlassung

    Wird bei einer Massenentlassung die Arbeitnehmervertretung oder, falls es keine solche gibt, die Arbeitnehmer, nicht konsultiert, sind Kündigungen des Arbeitgebenden missbräuchlich. Betroffen sind nur Kündigungen, die im Rahmen der Massenentlassung ausgesprochen werden. Kündigungen aus anderen Gründen fallen nicht darunter.

    Arbeitgebende müssen sich bei einer Massenentlassung genau an das Vorgehen zur Konsultation der Arbeitnehmenden halten, ansonsten sie das Risiko von missbräuchlichen Kündigungen eingehen. Bereits die verspätetet Konsultation der Arbeitnehmerschaft kann die Missbräuchlichkeit zur Folge haben. Vorsicht ist auch am Platz bei Medienmitteilungen über eine geplante Massenentlassung.


    Probezeit

    Der Schutz von Art. 336 OR beginnt bereits zu Beginn der Probezeit oder mit Antritt des Arbeitsverhältnisses. Eine Kündigung kann bereits ab dem ersten Tag der Probezeit missbräuchlich sein.


    Was kann erreicht werden?

    Das Gesetz sieht für eine missbräuchliche Kündigung eine Pönalentschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen vor, welche vom Richter unter Würdigung aller Umstände festgesetzt wird. Zusätzlich kann Schadenersatz aus einem anderen Rechtstitel geschuldet sein. Eine Einigung der Parteien auf Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses hat den Wegfall des Anspruchs auf die Pönale zur Folge.

    Die für die Höhe der Pönalentschädigung massgebenden Umstände sind bspw. die Dauer des Arbeitsverhältnisses, die Schwere der Missbräuchlichkeit, die wirtschaftlichen Verhältnisse der Parteien usw. Je kürzer das Arbeitsverhältnis war, desto tiefer ist die Entschädigung. Je höher die Entschädigung sein soll, desto höher sind die Anforderungen. Die Gerichte sind zurückhaltend und sprechen nur selten den maximal möglichen Betrag zu.

    Die Pönale bei einer missbräuchlichen Massenentlassung beträgt maximal zwei Monatslöhne. Einigen sich die Parteien auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, bleibt die Pönale gleichwohl geschuldet.

    Nicht erreicht werden kann die Wiederanstellung. Die Kündigung mag missbräuchlich sein, das Arbeitsverhältnis gilt jedoch als gekündigt und endet infolge der Kündigung. Die Parteien können sich jedoch auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einigen.

    Eine Ausnahme besteht im Anwendungsbereich des Gleichstellungsgesetzes, wo unter Umständen ein Anspruch auf Wiedereinstellung für die Dauer des Verfahrens bestehen kann (Art. 10 Abs. 3 GlG).


    Was muss die gekündigte Partei tun?

    Begründung der Kündigung

    Die Partei, welcher gekündigt wurde, sollte eine schriftliche Begründung der Kündigung von der anderen Partei verlangen. Aus der Begründung können sich Hinweise darauf ergeben, ob die Kündigung missbräuchlich erfolgte oder nicht. Der kündigenden Partei ist deshalb zu empfehlen, bei der Formulierung der Begründung besondere Vorsicht walten zu lassen.

    Einsprache

    Die gekündigte Partei muss bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bei der kündigenden Partei schriftlich Einsprache gegen die Kündigung einreichen. An die Einsprache werden keine hohen Anforderungen gestellt. Aus Beweisgründen ist es empfehlenswert, die Einsprache per Einschreiben zu senden oder bei Übergabe den Empfang schriftlich bestätigen zu lassen. Eine Einsprache per E-Mail genügt nicht.

    Einigung oder Klage

    Können sich die Parteien weder auf eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses noch auf eine finanzielle Abgeltung einigen, muss die gekündigte Partei die Pönalentschädigung innert 180 Tagen beim zuständigen Gericht geltend machen.


    Welche Fristen sind zu beachten?

    Die Einsprache gegen die Kündigung muss vor Ablauf der Kündigungsfrist bei der anderen Partei eingehen. Es genügt nicht, sie am letzten Tag der Kündigungsfrist zur Post zu geben. Wird diese Frist verpasst, ist der Anspruch verwirkt.

    Soll eine Entschädigung vor Gericht geltend gemacht werden, muss die Klage innert 180 Tagen (nicht sechs Monate) bei der zuständigen Schlichtungsbehörde anhängig gemacht werden. Wird diese Frist verpasst, ist Anspruch verwirkt.


    Kündigung zur Unzeit und fristlose Kündigung

    Erfolgt eine missbräuchliche Kündigung des Arbeitgebenden zur Unzeit, also während einer laufenden Sperrfrist, ist die Kündigung nichtig und es ist keine Pönalentschädigung nach Art. 336a OR geschuldet.

    Ist eine fristlose Kündigung ohne Vorliegen eines wichtigen Grundes zugleich missbräuchlich, steht dem Arbeitnehmenden nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts lediglich die Entschädigung für die ungerechtfertigte fristlose Entlassung zu. Bei der Bemessung der Entschädigung wird die gleichzeitige Missbräuchlichkeit jedoch berücksichtigt.


    Beweislast

    Diejenige Partei, welche die Missbräuchlichkeit einer Kündigung geltend macht, muss auch die Missbräuchlichkeit beweisen. Insbesondere ist der Kausalzusammenhang zwischen dem Missbrauchstatbestand und der Kündigung zu beweisen.

    Die Gerichte begnügen sich in der Regel mit dem Beweismass der hohen Wahrscheinlichkeit für innere Tatsachen (Motive). Das Nachschieben von Kündigungsgründen, die Verweigerung der Begründung der Kündigung, falsche oder offensichtlich vorgeschobene Gründe werden als Indizien für die Missbräuchlichkeit gewertet.

    Der Gegenpartei steht es frei, das Vorliegen eines anderen Grundes für die Kündigung darzutun und zu beweisen. Gelingt ihr das, kann der Nachweis der Missbräuchlichkeit scheitern. Der gekündigten Partei obliegt es in einer solchen Situation nachzuweisen, dass das missbräuchliche Kündigungsmotiv überwiegt oder ausschlaggebend war.



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